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Verein(t) zur Gemeinschaft?
Systematische Anregungen zu einer theologischen Soziologie der Kirche(n)
Liebe Vereinsmitglieder, verehrte Gäste, sehr geehrte Damen und Herren! ―
Halt! – Diese Begrüßung klingt doch einigermaßen schräg, auch wenn sie durchaus passend ist, denn die Hauptversammlung ist nun einmal die satzungsgemäße Mitgliederversammlung unseres eingetragenen Vereins „Reformierter Bund“. Dennoch bleibt diese Begrüßung unpassend, weil – so kann ich wohl unterstellen – wir uns durch etwas anderes mehr verbunden wissen als durch unsere Mitgliedschaft in diesem Verein. Deshalb beginne ich noch einmal:
Liebe Schwestern und Brüder, und damit schließe ich ausdrücklich alle Gäste, Damen und Herren, die hier zusammengekommen sind, mit ein.
Das klingt schon ganz anders, selbst wenn auch diese Anrede sehr unterschiedlich gehört werden mag. Damit sind wir bereits mitten in unserem Thema, und es deuten sich sofort auch die Unwegbarkeiten an, die mit ihm verbunden sind. Es scheint irgendwie um den Unterschied zwischen „Vereinsmitglied“ und „Schwestern und Brüder“ zu gehen.
Doch da sind auch noch all die anderen, zu denen wir ja ebenfalls irgendwie in einem Verhältnis stehen. Und es ist eine fundamentale Frage für die Zukunftsfähigkeit der ganzen Gesellschaft, dass es etwas gibt, das alle miteinander verbindet. Nehmen wir auch dies Ganze in den Blick, dann kann es kaum um weniger gehen als eben auch um all die anderen, es sei denn, wir bescheiden uns eben doch auf den Verein, eingetragen oder auch nicht eingetragen.
Was verbindet unsere Gesellschaft? Die besondere Herausforderung unseres Themas liegt darin, dass es uns auf ein ebenso weitreichendes wie unübersichtliches Feld versetzt, das von sich aus keine verlässliche Orientierung anbietet. Wir haben hier keine wirklichen Hausnummern, die wir einfach aufsuchen könnten, und so weichen wir schnell aus auf abstrakte Allgemeinheiten, die dann als müde und ermüdende Appelle dem allgemeinen Gewissen anempfohlen werden. Was verbindet uns? Wenn wir die Antwort wüssten, würden wir die Frage wohl gar nicht stellen. So zeigt schon die Tatsache, dass wir fragen, dass wir uns hier in einer Verlegenheit befinden. Ich hoffe, dass es gelingt, einige Einstiege zu einer Antwort zu skizzieren. Den von seinem jeweiligen Zweck mit einander verbundenen Verein haben wir als Schrebergartenperspektive bereits in der Begrüßung hinter uns gelassen.
Der erste Einstieg bietet sich an im Blick auf die große und – wie wir gehört haben – überaus verschiedenartige Familie der Christenheit und dem mit ihr gegebenen Potenzial der Verbundenheit. Ein zweiter Einstieg erweitert unsere Aufmerksamkeit auf das Verbundenheitspotenzial der besonderen Gemeinsamkeit in den Religionen. Drittens wenden wir uns dem Menschen als solchen zu: Worin sind wir schon schlicht in unserem Menschsein miteinander verbunden? Der abschließende vierte Einstieg hat dann einen ganz eigenen Charakter, denn in ihm geht es nicht wie bei den anderen um unsere Verbindungspotenziale, sondern um die Wahrnehmung der uns aus der Wirklichkeit Gottes entgegenkommenden Verbundenheit. Das mag sich im Moment so anhören wie eine zum Abschluss bemühte beruhigende Zauberformel, aber es wird zu zeigen sein, dass es doch etwas anspruchsvoller ist. – Also beginnen wir:
1. Verbunden im Glauben
Auch wenn wir Reformierten im Unterschied zu einigen anderen Kirchen mit Gerüchen eher sparsam umgehen, gibt es so etwas wie den reformierten Stallgeruch, und jede Hauptversammlung hat auch immer etwas von einer Familienfeier. Die Hauptversammlung ist selten genug, um immer wieder auch ein gewisses Highlight zu sein. Wir freuen uns auf Freundinnen und Freunde, mit denen wir uns in unserer so oder so reformierten Wahrnehmung des christlichen Bekenntnisses verbunden wissen. Und das ist auch gut so, jedenfalls solange, wie das reformierte Bewusstsein nicht allein von der möglichst markanten Abgrenzung zu den Orientierungen in anderen Kirchen lebt. Es war Dietrich Bonhoeffer, der sich schon in seiner Doktorarbeit auch unter Berücksichtigung soziologischer Merkmale mit der besonderen Gemeinschaftsform der Kirche beschäftigt hat. In der Bewährungssituation des Kirchenkampfes hat er sich noch einmal intensiv mit der Frage der besonderen Verbundenheit der christlichen Gemeinde befasst.
Nachdem im Sept. 1937 die Geheime Staatspolizei das Predigerseminar in Finkenwalde geschlossen hatte, schreibt Bonhoeffer ein Jahr später im Horizont seiner Erfahrungen eine Abhandlung mit dem Titel „Gemeinsames Leben“, die dann rasch hintereinander vier und dann bis 1986 einundzwanzig Auflagen erlebte. Im Zentrum seiner Überlegungen steht, dass es entschieden nicht unsere Erfahrung sei, durch welche wir miteinander verbunden sind oder verbunden werden könnten, sondern es sei allein der Glaube, der uns zusammenbringt und beieinander hält und zu Schwestern und Brüdern macht.1 Das sei eben die spezifische Sozialform der Kirche, dass sie nicht über von uns zu verwaltenden Kriterien reguliert wird, sondern uns vor allem dadurch an sich bindet, dass sie uns von allen Modellen unserer individuellen und gemeinschaftlichen Selbstverwirklichung befreit. Ein „gemeinsames Leben unter dem Wort wird nur dort gesund bleiben, wo es sich nicht als Bewegung, als Orden, als Verein, als collegium pietatis auftut, sondern wo es sich als ein Stück der Einen, heiligen, allgemeinen, christlichen Kirche versteht.“2
Die Grenzen dieser Kirche lassen sich nicht einfach definieren. Sie werden jedoch bestimmt nicht von unseren Sympathien, persönlichen Wunschvorstellungen oder zu realisierende Gemeinschaftsidealen orientiert. Wo sich die Sozialform der Kirche unseren Wohlfühlbedürfnissen anpasst, sieht Bonhoeffer die Gemeinde auf dem Weg in die „Sektiererei“.3 Es gehe nicht um eine von uns zur realisierende, sondern um die uns in Christus geschenkte und eben auch allein durch ihn realisierte Gemeinschaft.4 So wie jede Einzelne und jeder Einzelne aus der ihr und ihm von außen zugesprochenen Gerechtigkeit lebt, so gilt das auch für die Gemeinschaft, weil Christus eben nicht nur für mich, sondern eben auch für die anderen eintritt, so dass wir in jedem Menschen einem von Gott gerechtfertigten Menschen begegnen, und das geht wohl gemerkt auch über das hinaus, was wir die Christenheit zu nennen gewohnt sind. Es ist dieses Eintreten Gottes für uns, durch das wir untrennbar miteinander verbunden sind.
Die Kontrollfrage für Bonhoeffer ist die Ausübung der Feindesliebe.5 An ihr spätestens scheitern all unsere psychologisch kompatiblen Optionen. Feindesliebe überfordert jede von individuellen Neigungen zusammengehaltene Gemeinschaft. Sie offenbart zugleich – und darauf legt Bonhoeffer den Ton –, dass die von unseren Sympathien und Neigungen konstituierte Gemeinschaft vor allem auf der Selbstliebe gründet und eben nicht wirklich als gelebter Dank für Gottes Eintreten für uns verstanden werden kann. Pointiert schreibt er: „Wer seinen Traum von einer christlichen Gemeinschaft mehr liebt als die christliche Gemeinschaft selbst, der wird zum Zerstörer jeder christlichen Gemeinschaft, und ob er es persönlich noch so ehrlich, noch so ernsthaft und hingebend meinte.“6
Das sind recht steile Aussagen, denen man aber nicht so einfach widersprechen kann. In der Kirche geht es nach Bonhoeffer um ein Familientreffen ganz anderer Art als beispielsweise unsere Hauptversammlung. In der Kirche werden wir von einer ganz anderen Verwandtschaft zusammengehalten als in unseren Wahlverwandtschaften. Aber lassen wir uns wirklich davon verbinden, dass wir miteinander verbunden sind? Setzen wir nicht selbst der mit unserem Glauben verknüpften Verbundenheit unablässig Grenzen, so dass sie nicht wirklich zum Zuge kommen kann? Überlassen wir nicht unserer partikularen theologischen Tradition oder gar unseren persönlichen Sympathien und Antipathien die Regie über unsere Bindungen und Verbundenheiten, und das keineswegs ohne das Pathos des besonderen Hörens auf den Willen Gottes? Weil wir nicht über unseren Schatten springen können, wollen wir die Kontrolle darüber behalten, was uns verbindet. Es erstaunt nicht wirklich, dass die besondere Sozialperspektive des christlichen Glaubens nicht wirklich zum Zuge kommt. Wir sind in der Kirche kaum anders miteinander verbunden als in einem Verein. Das sehen wir an uns selbst, an den verschiedenen Kirchen und ihren spezifischen Milieus und eben auch keineswegs abgeschwächt in der Ökumene. Es ist mehr die Nähe zu uns selbst bestimmend als die Nähe zu Gott, der uns beinahe überall näher erscheint als ausgerechnet auf Golgatha, wo er uns aber tatsächlich am nächsten ist. Wahrhaftig nicht nur den Juden ein Ärgernis (1Kor 1,23), dessen Heilsamkeit uns immer wieder entgleitet. – Im Moment will ich es dabei belassen. Wir werden aus anderer Perspektive am Ende darauf zurückkommen.
Verbunden im Glauben
Die dem christlichen Bekenntnis entsprechende Selbstlosigkeit und Bindungskraft verpufft weithin im Konflikt mit der Selbstsorge und der aus ihr resultierenden Eigenwilligkeit und Treulosigkeit des Menschen. Die tatsächliche Wirkungslosigkeit der christlichen Sozialperspektive entspricht einer weitreichenden faktischen Lebensirrelevanz des Glaubens. Die für den eigenen Glauben beanspruchte Regie entzieht dem Glauben die ihn ausmachende Verbindlichkeit.2. Das verbindende Bekenntnis der Religionen
Wenn es uns nicht schon ohnehin das Bewusstsein prägt, ist es uns heute Morgen deutlich vor Augen gerückt worden, dass die Kirche in unserer Gesellschaft längst keine selbstverständliche Gegebenheit mehr ist. Wir bewegen uns in einem multireligiösen Umfeld, zu dem wir so oder so in Beziehung stehen. Auch eine Nichtbeziehung ist eine Beziehung, aber eben weder eine gedeihliche noch gar eine für die Gemeinschaft produktive. Anstatt einfach stillzuhalten sollten wir uns Rechenschaft darüber ablegen, in welcher Weise wir mit den anderen Religionen verbunden sind. Auf der einen Seite ist unser Glaube da ganz besonders empfindlich und auf der anderen Seite zugleich geradezu offensiv weitherzig.
Empfindlich ist der christliche Glaube darin, dass die Öffnung zu den anderen Religionen die Quelle der von ihm bezeugten Wahrheit relativieren und sich zu der ebenso billigen wie hoffnungslosen Ansicht verlieren könnte, dass entweder unterm Strich doch alle Religionen an denselben Gott glauben oder aber die Wahrheit nur in einem Konsens der verschiedenen Religionen untereinander gefunden werden könnte. Es heißt gern, dass es nun endlich abzusteigen gelte vom hohen Ross eines christlichen Absolutheitsanspruchs, um den Wahrheitsgehalt auch anderer Religionen anerkennen zu können. Angesichts der Vielfalt der Religionen gelte es, bescheidener als bisher von der Wahrheit zu denken. Sie gelte ohnehin nur bezogen auf den jeweiligen Schrebergarten, in dem ein Glaubensbekenntnis gilt.
So sehr diese Intention nachvollziehbar sein mag, liegt der Grundfehler eines solchen Programms darin, dass es die Wahrheit mit ihrer logischen Umstellung gleichsam stilllegt. Es wird so getan, als könne es auch ein bisschen Wahrheit geben, hier ein bisschen und dort ein bisschen. Doch eine solche Zähmung kann keine Wahrheit überleben, die ihren Namen verdient. Es gibt Großzügigkeiten, bei denen genau das verloren geht, worauf es eigentlich ankommt.
Nicht bescheidener, sondern anspruchsvoller ist von der Wahrheit zu denken, wenn man die verschiedenen Religionen ernst nimmt. Recht verstanden sind Religionen der lebendige Ausdruck dafür, dass sich der Mensch nicht selbst als die Quelle der Wahrheit sieht und somit nicht absolut setzt. Darin liegt doch gerade das zutiefst Humane der Religionen, dass in ihnen der Mensch Abstand wahrt gegenüber der Versuchung seiner Selbstverabsolutierung. Es ist die babylonische Versuchung des Menschen, einen Turm bis in den Himmel als Thron der eigenen Selbstvergottung zu bauen, der die Religionen auf recht unterschiedliche Weise entgegenwirken. Sie stehen dafür, den Menschen Mensch bleiben zu lassen und bewahren ihn vor den Verheerungen der hemmungslosen Selbstverabsolutierung. Auf höchst unterschiedliche Weise stehen sie sowohl der Hybris als auch der Verzweiflung der Behauptung der Letztinstanzlichkeit des Menschen entgegen und treten eben damit für den Menschen ein. Sie verhindern, dass sich der Mensch über die Wahrheit stellt, weil diese für ihn dann nicht mehr wirklich hilfreich sein kann. Hilfreich kann nur eine Wahrheit sein, die über uns steht. Von der Wahrheit kann kaum anspruchsvoll genug gedacht werden.
Religionen sind keine Veranstaltungen der Selbstfeier des Menschen, sondern seiner öffentlichen und gemeinschaftlichen Selbstzurücknahme. Ihre Stärke ist ein achtsamer Umgang mit der Schwäche des immer auch mit Schuld und Unzulänglichkeit behafteten und von seiner Endlichkeit bedrängten Menschen. Dies soll ihn davor bewahren, sich über sich selbst in abstrakten Illusionen oder Zauberlehrlingsfiktionen zu verlieren, die sich dann früher oder später in zerstörerische Weise gegen ihn wenden. Diese Selbstzurücknahme ist das, was die Religionen miteinander verbindet.
Natürlich sind auch die Religionen nicht der Versuchung entnommen, sich über die Wahrheit zu erheben und sie als ihren Besitz zu annoncieren. Das ist die Versuchung des Fundamentalismus, von der sich keine Religion einfach freisprechen kann. Fundamentalismus ist aber vor allem eine Form der Selbstzerstörung der Religion. Fundamentalismus nimmt ihr gerade das, was sie in ihrer Substanz so besonders auszeichnet. Die Religion wird zu der den Menschen anvertrauten Verwaltungszentale der Wahrheit erklärt. Ob er nun zum Gotteskrieg rekrutiert oder nur die dogmatische Verwaltung der Wahrheit für sich reklamiert, in jedem Fall greift er die Substanz dessen an, was Religion zu Religion macht und erweist sich damit faktisch als religionsfeindlich, weil er mit seiner angemaßten Wahrheitsunmittelbarkeit die sie auszeichnende Demut gegenüber der Wahrheit austreibt. Wenn wir da um ein Reinemachen in den anderen Religionen bitten, sollten wir nicht vergessen, auch im eigenen Haushalt deutlich schmutzempfindlicher zu werden.
Auch wenn es uns ein Rätsel bleibt, werden wir davon auszugehen haben, dass die uns tragende Wahrheit vom Ostermorgen, die doch entschieden und jenseits aller konfessioneller Vielfältigkeit die Christenheit mit einander verbindet, auch in den für uns immer nur sehr begrenzt nachvollziehbaren Wahrheitseinsichten der anderen Religionen präsent ist. Zweierlei sollte uns zu wachem Bewusstsein kommen: Zum einen, dass wir es nicht nur im Herzen, sondern auch in den Sinnen bewahren sollen, um wie unendlich viel der Friede Gottes tatsächlich höher ist als all unsere Vernunft, und zum anderen, dass der Friede Gottes gerade angesichts seiner unendlichen Überlegenheit unsere Herzen und Sinne in Christus bewahren soll (Phil 4,7).
Am Anfang dieses Abschnittes habe ich darauf hingewiesen, dass der christliche Glaube im Verhältnis zu den anderen Religionen besonders empfindlich, zugleich aber auch geradezu offensiv weitherzig sei. Es handelt sich um eine Empfindlichkeit, die von ihrer universalen und eben auch offensiven Weitherzigkeit abhängt. Es ist eine Weitherzigkeit, die ihre besondere Kraft allein aus ihrer definitiven Empfindlichkeit bezieht. Es wäre nicht wirklich die Empfindlichkeit des christlichen Glaubens an die Lebendigkeit des auferstandenen Christus, wenn sie nicht tatsächlich mit dieser Weitherzigkeit einherginge.
Das verbindende Bekenntnis der Religionen
Religion steht für eine sozialfähig agierende Selbstzurücknahme des Menschen gegenüber der Versuchung seiner Selbstverabsolutierung und Selbstvergottung. Als solche verträgt sie sich ihrem Wesen nach nicht mit dem Anspruch, die Wahrheit zu besitzen. Sie weiß sich zwar der Wahrheit verpflichtet, aber diese weist prinzipiell über sie hinaus. Indem der Fundamentalismus die Wahrheit an sich reißt und sich damit selbst verabsolutiert, erweist er sich als Zerstörer der Humanität der Religion. Es ist die Selbstzurücknahme des Menschen, durch die die Menschen aller Religionen miteinander verbunden sind. Wo diese nicht mehr zum Zuge kommt, verlieren die Religionen ihr soziales Potenzial.3. Verbindliche Freiheit
Wenn wir nun auch noch über die Religion als Potenzial unserer Verbundenheit hinausgehen, so rückt der sich allein an sich selbst haltende Mensch in den Blick. Immer schon hat er sich seine Blöße schon irgendwie bedeckt, aber in der Regel eben mit Feigenblättern. So wie er die Chance seiner Freiheit schnuppert und wie Prometheus die Welt zu seiner Bühne erklärt, weiß er zugleich um sein Verhängnis, in dem er wie Sisyphos immer wieder den gleichen schweren Stein auf eine Höhe wälzen muss, auf der er sich nicht zu halten vermag. Fortschrittspathos und zugleich die ewige Wiederkehr des immer Gleichen. Karl Barth hat die Fortschrittlichkeit des Menschen aufs Ganze gesehen als „stationär“ bezeichnet, „einem am Göpel [sc. Laufrad] im Kreis herum laufenden, höchst unvernünftigen Rindvieh leider gar sehr vergleichbar.“7
Der Mensch kann sich etwas vornehmen und hat auch die Freiheit dazu, und zugleich muss er sich etwas vornehmen, weil ihn seine Freiheit nicht entlässt, eben auch dann nicht, wenn er erkennt, dass es immer wieder derselbe Stein ist, der ihm da vor den Füßen liegt. Es ist keineswegs abwegig, wenn Camus Sisyphos als glücklichen Menschen versteht; es ist aber das Glück desjenigen, der sich von keinen Heiligtümern und Illusionen mehr zurückziehen muss, weil er ihnen längst den Rücken zugekehrt hat und deshalb von ihnen frei ist. Radikal frei und deshalb so grenzenlos optimistisch wie Prometheus, und zugleich radikal ernüchtert und eben deshalb so zur Freiheit gezwungen wie Sisyphos. Nicht nur der Macher Prometheus, auch Sisyphos lebt vom Pathos der Freiheit, ja ihm ist die Freiheit tatsächlich ein Pathos, im wörtlichen Sinne eine wirkliche Leidenschaft. Alles scheint darauf hinzuweisen, dass in diesem ganz weiten und bedingungslosen Horizont die Freiheit eine Gemeinsamkeit ist, an welcher die Menschen teilhaben. Ob diese Gemeinsamkeit sie auch miteinander verbindet, ist damit aber noch keineswegs ausgemacht. Mich beschleicht immer eine tiefe Skepsis, wenn ebenso gern und wie unausgewiesen gesagt wird, dass es die Freiheit sei, die unsere Gesellschaft etwa gegenüber der Bedrohung durch den blindwütigen und zugleich zielstrebigen Terrorismus zusammenhalte, wie es auch eine verfehlte Unterstellung ist, dass der Terrorismus auf unsere Freiheit ziele. Im Zentrum stehen doch vielmehr die Obsessionen, für deren Ermöglichung wir uns auf die Freiheit berufen. Bestenfalls könnte von einem Zerrbild der Freiheit gesprochen werden, das eben dann entsteht, wenn das, was der freie Markt genannt wird, nicht als brutaler Verdrängungskapitalismus, sondern als Ausdruck der Freiheit bezeichnet wird, oder wenn ein rücksichtsloser narzisstischer Individualismus als freie Selbstverwirklichung etikettiert wird, oder wenn der Sonntag nun auch noch Platz machen soll für die Freiheit des Konsums, dessen Unersättlichkeit ohnehin schon jedes Maß verloren hat und längst mehr der Ausdruck einer Dressur als der Freiheit ist.
Es gibt ein ebenso substanzloses wie auf die Dauer tatsächlich selbstmörderisches Freiheitsgerede, das immer wieder zelebriert wird. Weil auf diesem Fass der ideologischen Ausschlachtung der Freiheit der Druck so unverhältnismäßig groß ist, will ich das Ventil jetzt nicht weiter öffnen. Möglicherweise verbindet uns hier mehr als uns lieb sein kann, es ist aber eben nicht die Freiheit, die uns hier verbindet. Sie ist nur das attraktive Werbelabel, das zur Irreführung beinahe überall draufgeklebt wird wie ein ungeschütztes Biolabel im Supermarkt. Freiheit, deren Wahrnehmung sich gegen unbeteiligte Menschen wendet, kann schwerlich als menschliche Freiheit ausgegeben werden. Wo Freiheit für andere zum Schrecken wird, ist sie bereits ins Unrecht gesetzt, auch wenn sie sich dabei auf sogenannte Freihandelsabkommen berufen kann. Es lohnt sich allemal, genau hinzusehen, für welche Zwecke sich ihre Protagonisten auf die Freiheit berufen.
Mit diesen Einsprüchen gegen ihren Missbrauch wollen wir uns nun aber nicht die Freiheit ausreden lassen. Das Gegenteil ist der Fall. Es gilt den zutiefst menschlichen Charakter der Freiheit wieder zu entdecken und pfleglich zu behandeln. Es gilt achtsam ihre Verletzlichkeiten zu vergegenwärtigen, damit sie nicht weiter mit Füßen getreten wird, von denen, die sich lauthals auf sie berufen. Keine Freigabe der Freiheit an das Kalkül eines Laissez-faire. Keine Preisgabe der Freiheit an das Kräftemessen, die nur die Freiheit der Starken begünstigt. Soll Freiheit etwas sein, das die Menschen verbindet, dann bemisst sie sich an der Freiheit der Schwächsten. Soll sie der Ausdruck der Menschlichkeit des Menschen sein, dann wird sie für ihn eintreten und sich dem entgegenstellen, was sie bedroht oder gar vollkommen erstickt. In ihrer Schmerzempfindlichkeit wird sie immer auch eine Brücke zur Solidarität schlagen.
Ja, Freiheit verbindet, oder sie ist verlogen. Wenn ich nicht so recht erkennen kann, was unsere pluralisierte postmoderne Gesellschaft tatsächlich verbindet, kann es per se mit der Freiheit nicht allzu gut bestellt sein, auch wenn ihr Fähnchen allseits geschwungen wird. Vielmehr sollten wir uns eingestehen, dass es die Freiheit leider noch nicht ist, die uns verbindet. Eher sind wir verbunden – wie die Demoskopen sagen – in der Angst vor einem terroristischen Attentat, auch wenn das öffentlich unablässig dementiert werden muss und von den Statistikern als unbegründet angesehen wird.
Verbindliche Freiheit
Es ist die fundamentale Gefährdung des Menschen, dass er die ihm gegebene Freiheit vor allem zur Selbstdurchsetzung und damit zur Beschränkung oder gar zur Stilllegung der Freiheit anderer und schließlich auch seiner selbst benutzt. Der ideologische Weg, den Instrumentarien der Selbstdurchsetzung gleichsam zur Tarnung das Etikett der Freiheit aufzukleben, ist zugunsten einer schmerzempfindlichen Freiheit zu verlassen, die von der Freiheit auch der Schwachen orientiert wird.
Zur Person:
Michael Weinrich arbeitete ab 2005 als Professor für Systematische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum und Direktor des Ökumenischen Instituts der Evangelisch-Theologischen Fakultät. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Johannes Calvin, Karl Barth, der Religionsdiskurs sowie reformatorische Ekklesiologie und Ökumene. Seit seiner Emeritierung ist Weinrich u.a. berufenes Moderamens-Mitglied des Reformierten Bundes.
4. Eine Zwischenbilanz
Was verbindet uns? Auf der Suche nach belastbaren Perspektiven auf tragfähige Sozialformen haben wir drei Einstiege erprobt: Die Verbundenheit im Glauben, das Verbindende in den Religionen und die Verbindlichkeit der Freiheit. Alle drei sind sehr unterschiedlich, beziehen sich auf verschiedene Horizonte und schließen sich gegenseitig nicht aus.
Dreierlei ist ihnen gemeinsam: 1. Jede Perspektive trägt so weit die Füße tragen, d.h. ihre jeweiligen Verheißungen halten so lange, wie wir sie halten. Wir sind genau so mit einander verbunden, wie wir uns miteinander verbinden. Das klingt banal, ist aber tatsächlich eher ernüchternd, denn es geht nicht einfach von selbst. Wir können nicht mit einer uns vorgegebenen, gleichsam natürlichen Verbundenheit rechnen, auf die man sich dann verlassen kann, wenn das Eis dünner wird, und wir wissen ja, dass es schmilzt. Es scheint wie auch in unseren privaten Beziehungen zu sein, die eben auch nur so gut sind, wie wir sie aktiv im Blick halten und pflegen, um von Beziehungsarbeit einmal zu schweigen.
2. Das Zweite hängt unmittelbar damit zusammen. Jede der genannten Perspektiven kann von ihren Protagonisten verfehlt werden und wird eben auch tatsächlich mehr verfehlt als wahrgenommen. Wir wissen um die Ambivalenz des geschichtlichen Auftritts des christlichen Glaubens, wir leiden unter der abgründigen Ambivalenz der Religionen, und die Ambivalenz der Berufung auf die Freiheit ist beinahe erdrückend. Die Kirchen vernachlässigen die Katholizität der ihnen anvertrauten Botschaft und fragmentieren sie durch konfessionelle Grenzziehungen. Die Religionen klopfen sich auf die Brust und bemächtigen sich der Wahrheit, die ihnen genau dadurch entgleitet. Und die Freiheit haben wir weithin der Prostitution überlassen, so dass sie allzu häufig nur ein mehr als zweifelhaftes Vergnügen bereitet.
3. Die dritte Gemeinsamkeit besteht darin, dass sich in dieser nüchtern einzuräumenden Ambivalenz aber das Licht nicht vom Schatten löschen lässt. Das Licht ist bisweilen recht kümmerlich – und wir wissen, dass sich dann die Schatten besonders dramatisch gestalten –, aber es gilt eben auch umgekehrt, dass da, wo die Schatten besonders imponieren, um das ganze Feld zu beherrschen, auch dem kleinsten Licht die schlechterdings hoffnungsvolle Kraft zukommt, den Schatten wirkungsvoll die Behauptung zu verbieten, es gäbe nur die Dunkelheit. So wie uns die angesprochenen Ambivalenzen die Verdunklungen und Trübungen vor Augen rücken, so halten sie eben auch den Platz frei für die Verheißungen und ihre Verwirklichungen. Die ausstehenden Erfüllungen können die Verheißungen nicht diskreditieren.
5. Gott tatsächlich Gott sein lassen In unserem Kreis sollte die Frage erlaubt sein: Was hat Gott mit unserem Thema zu tun? Wir haben vom christlichen Glauben, den Religionen und der Menschheit als solcher gesprochen, aber von Gott ist nicht ernsthaft die Rede gewesen. Schaut er uns in seiner Güte wohlgesonnen zu und ermutigt uns, in unserem Engagement nicht nachzulassen, weil auch er nicht nachlässt, für uns zu sein? Oder trägt er auch selbst etwas bei zu dem, was uns verbindet in der Christenheit, unter den Religionen und in der menschlichen Existenz als solche? Haben wir die Vorstellung, dass Gott etwas tut in unserer Geschichte, dass er auch selber handelt bis hinein in unsere konkrete Geschichten?
Gottes Handeln in der Geschichte – das ist eine Frage, die in der Theologie ganz aus der Mode gekommen ist. Sie war das Thema der sogenannten Vorsehungslehre, die spätestens mit der pervertierten Vereinnahmung der Vorsehung im Nationalsozialismus nicht mehr einfach fortgeschrieben werden konnte. Vielleicht wäre besser von Gottes Beistand oder Fürsorge die Rede, aber längst vor dem Nationalsozialismus war der Theologie das Thema in seiner ganzen Breite entschwunden. Seit der Aufklärung erklärt sich der Mensch selbst für seine Geschichte verantwortlich. Es ist unüblich geworden, von Gott als dem Lenker oder Hüter der Geschichte zu sprechen, und wo es dennoch geschieht, bekommt es meist unversehens einen anzüglichen und peinlichen Ton.
In auffälliger Spannung dazu haben wir es uns allerdings nicht abgewöhnt, Gott all das vorzuhalten, was schief läuft, all das Elend und das himmelschreiende Leiden, wo in den meisten Fällen eben auch die Menschen ihre Hände im schmutzigen Spiel haben. Da möge Gott sich doch bitte schön rechtfertigen, wie er all das zulassen kann. Seine Untätigkeit stellt ihn unversehens auf die Seite des Übels und des Bösen. Ich weiß, dass ich jetzt ein wenig vereinfache, aber die Asymmetrie zwischen dem, was wir auf der einen Seite uns selbst zutrauen, und dem, was wir Gott klagend oder gar vorwurfsvoll vorhalten, bleibt auch bestehen, wenn wir uns weiter auf die nötigen Differenzierungen einließen. Zugespitzt gesagt: Einerseits wird Gott aus der Geschichte verdrängt, andererseits wird ihm ihr Elend vorgehalten. Es ist offenkundig, dass da etwas nicht ganz aufgeht. Der hohe Rang, der heute der Theodizee-Frage freigehalten bleibt, nach der sich Gott angesichts des Bösen und des Übels zu rechtfertigen habe, könnte auch ein Hinweis darauf sein, dass uns die Existenznot, in die wir Gott damit bringen, nicht wirklich erschüttert. Das verrät auch das verbreitete Einverständnis mit der Lösung der Theologie, die Gott in seiner beengten Lage durch den Hinweis auf seine Ohnmacht für gerettet erklärt. Dass wir aber mit diesem auf seine Ohnmacht verkleinerten Gott möglicherweise den tatsächlich von unsäglichem Leid betroffenen Menschen das Einzige bestreiten, an das sie sich noch halten können, kommt dabei selten in den Blick.
Handelt Gott in der Geschichte? Was meinen wir eigentlich, wenn wir von ‚Geschichte‘ sprechen? Was könnte das sein, was das sich mühevoll durch die Jahrhunderte bewegende Geschehen zu einer Geschichte zusammenbringt, an der wir Anteil haben? Müsste man nicht ein Ziel oder zumindest eine Bestimmung nennen können, um über Geschmacksurteile oder willkürliche und kurzlebige weltanschauliche Etiketten hinauskommen zu können? Welchem „Credo“ folgt unsere Vorstellung der Geschichte? Dem des Prometheus oder dem von Sisyphos? Glauben wir, dass jede Not auch die passende Medizin hervorbringen wird? Glauben wir, dass am Ende doch die Vernunft den Wahn der Macht und die rücksichtslose Raffgier besiegen wird? Woran aber sollte sich diese Vernunft orientieren? Wir könnten diese Reihe der Fragen beliebig fortsetzen. Eines aber ist jetzt schon deutlich: Wir sollen nicht meinen, dass es von Gott noch etwas wirklich Bedeutsames zu sagen gäbe, wenn er nicht fundamental etwas mit dem zu tun hätte, was wir Geschichte nennen.
Unsere biblische Tradition bekennt sich durchgängig zu einer Geschichte, die zu keinem Zeitpunkt als gottlos angesehen werden kann, so viel Gottlosigkeit es auch in ihr geben mag. Auch wenn es ihr nicht auf die Stirn geschrieben ist, hat unsere Geschichte ihren Anfang in Gott ebenso wie ihr Ziel, und ihre besondere Bestimmung hat sie im Ostergeschehen als dem entscheidenden Zentralereignis, das dem Zufall und dem blinden Schicksal entgegentritt. Der allseits erfahrbaren Todesgeschichte steht hier die Lebensgeschichte Gottes entgegen, ganz und gar dem Tod benachbart und ihm zugleich unendlich überlegen. Es ist eben wirklich nicht alles, was Gott in seiner Allmacht macht, aber er macht alles, was für die Vollendung seiner Geschichte mit dem Menschen erforderlich ist, dazu hat er alle Macht bis dahin, sich selbst in seiner Freiheit auch zwischenzeitlich in dieser Welt auch der Ohnmacht auszusetzen.
Das ist die Geschichte, auf die sich unser Glaube beruft. Wie sollten wir je von ihr absehen können? All unser christliches Bekennen ginge ins Leere, wollten wir aus den Augen verlieren, dass wir in diese Gottesgeschichte hineingestellt sind, in der wir immer schon miteinander verbunden sind. Das ist darin geschichtlich, dass es nicht allein die Christenheit betrifft, sondern auch die Religionen und eben die Menschheit als solche miteinander verbindet, nicht erst irgendwann, sondern immer schon jetzt.
Die Exklusivität Gottes kann nur recht verstanden werden in Wahrnehmung der mit ihr verbundenen Inklusion. Es kann nicht darum gehen, Gott exklusiv für den eigenen Glauben zu reklamieren und ihn damit zum Vereinsboss der Kirche zu erklären. In seiner Exklusivität zeichnet sich Gott gerade gegenüber uns Menschen insgesamt aus, und jeder, der ihm darin zu nahe tritt, indem er sich den anderen gegenüber auf seine Seite schlägt und als seinen Parteigänger ausgibt – und sei es der Papst oder der heilige Franz von Assisi selbst – vergreift sich an seiner Souveränität, in der er der Gott seiner ganzen Schöpfung und somit aller Menschen ist, die er in Jesus Christus mit sich versöhnt hat (2Kor 5,19). Es ist eben seine Souveränität, in der sich seine Exklusivität als konsequent inklusiv erweist. Darin sind wir unverbrüchlich miteinander verbunden jenseits von all dem, was uns gelingt und eben auch misslingt. Wir sind durch etwas verbunden, das wir nicht selbst sind, Gott sei Dank! Doch unsere Schwierigkeit und zugleich unsere wirkliche Not bleibt, dass wir Gott nicht Gott sein lassen, dass wir uns von Gott nicht verbinden lassen, der sowohl unsere Wunden verbindet als auch sich mit uns und uns alle miteinander in seinem Bund verbunden hat.
- Das gilt für die Verbundenheit der Kirchen: Ökumene heißt an erster Stelle und das überaus folgenreich nichts anderes als Gott in der Kirche Gott sein zu lassen. Wo das verbindlich ist, sind wir miteinander verbunden; nicht zuletzt wäre uns dann auch unsere Verbundenheit mit Israel essenziell. Es sind gerade die von uns angezielten Verbindlichkeiten, die uns trennen und der uns immer schon vorauslaufende Verbundenheit die Wirklichkeit absprechen.
- Das gilt auch für Verbundenheit der Religionen: Sie propagieren keine von ihnen verwaltete Wahrheit, sondern setzen auf die Selbstbewahrheitung Gottes bzw. der von ihr vertretenen Wahrheit. Wo das ernsthaft geschieht, rückt man auch dann zusammen, wenn man nicht in die gleiche Richtung blickt, wenn nach der Wahrheit Ausschau gehalten wird.
- Und das gilt dann ebenso für die Verbundenheit der Menschheit als solcher: Sie muss nicht den Stellvertreter Gottes spielen und sich im Streit um die Oberherrschaft in der Geschichte zerreiben. Sie kann sich von einer Freiheit verbunden wissen, die den gegenseitigen Respekt als ihre tragende Grundlage pflegt, weil auf der manischen Selbstsicherung keine vernünftige Verheißung liegt.
Der Weg, den wir jetzt genommen haben, mag etwas überraschend erscheinen, aber jeder Weg, der sich auch an der Ehre Gottes zu orientieren versucht, wird nicht mit dem auskommen können, was sonst an dieser Stelle regelmäßig zu vernehmen ist, wenn gewiss nicht zu Unrecht etwa auf den demokratischen Rechtstaat, auf gemeinsame Werte oder gar schlicht – wie es Angela Merkel gern formuliert – die Art und Weise, wie wir leben, hingewiesen wird. Gott Gott sein zu lassen, das macht uns alle zu Schwestern und Brüdern. Was könnte verbindender und verbindlicher sein als diese Wahrnehmung? Wir sind bereits vereint zur Gemeinschaft. Es liegt Segen darauf, sie dann auch zu leben.
Gott tatsächlich Gott sein lassen
Auch wenn Gott gern all das Übel und Böse in der Welt vorgehalten wird, haben wir ihn weithin als Akteur aus unserer Geschichte verabschiedet. Es gibt eine verräterische wie überaus leichtfertige Sympathie für den ohnmächtigen Gott. Die Rede von Gott verliert aber ihre Substanz, wenn ihm die Geschichte entzogen wird, und unsere Geschichte verliert ihren Anfang und ihr Ziel, wenn das geschichtliche Engagement Gottes nicht mehr in ihrer Mitte steht. Die zu Ostern endgültig erkennbar werdende Pointe des Handelns Gottes macht die Geschichte zu einer Geschichte des Lebens, die dem Tod Einhalt gebietet, so sehr sich dieser auch noch mächtig gebärdet. Diese Geschichte kommt nicht zuletzt darin zum Zuge, dass wir Gott tatsächlich Gott sein lassen. Die Exklusivität Gottes kann nur als beispiellose Inklusionsinitiative verstanden werden. Wir sind durch etwas verbunden, das wir nicht selbst sind. Es liegt Segen darauf, dies auch zu leben.Paderborn, den 27.09.2017
1 Vgl. D. Bonhoeffer, Gemeinsames Leben, in: Gemeinsames Leben. Das Gebetbuch der Bibel, hg. v. G.L. Müller u. A. Schönherr (DBW 5), München 1987, 13–102, 34.
2 Ebd., 32.
3 Ebd., 33
4 Vgl. ebd., 18.
5 Vgl. ebd., 30.
6 Ebd., 24
7 K. Barth, KD IV/1, 565.
Michael Weinrich
Am letzten Tag der Hauptversammlung hat der Reformierte Bund eine Erklärung besprochen, die an die Friedenserklärung von 1982 anschließt und auf die aktuellen Problemlagen zielt.
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